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Alt 17.02.2011, 23:20   #93
muwe
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Standard Pfusch in Serie

Ja, wir hören immer wieder, dass die Hersteller bei Pannen und Rückrufen ihre Lieferanten an den Pranger stellen.
Die wiederum verweisen auf Preisdrückerei und unrealistische Parameterisierung ihrer Auftraggeber

Zitat: Eine durchgängige Qualitätssicherung über die gesamte Wertschöpfungskette ist nicht gewährleistet. Die Automobilhersteller klopfen den Lieferanten auf die Finger, wenn sie sich nicht nach ISO bzw. VDA 6.1, QS 9000 und TS 16949 halten – welche Instanz aber klopft den Automobilherstellern auf die Finger?
Prof. Dr. Wolfgang Meinig (Forschungsstelle Automobilwirtschaft (FAW)


Die Autokonzerne verlangen zwar fehlerfreie Qualität, aber diese soll immer weniger kosten.
Bei den üblich gewordenen Mehrjahresverträgen, etwa über die geplante Laufzeit eines Modells von fünf bis sieben Jahren, sollen die Lieferanten im Schnitt knapp vier Prozent des Anfangspreises per annum nachlassen.

Die endlose Kostendrücker-Olympiade wird aber meistens durch eigenes Missmanagement der PKW-Hersteller nötig.
Brechen die Gewinne ein, werden die Zulieferer sofort abgeschöpft (geschröpft).

Billig, billig, billig, soll es sein - aber von den enormen Kosten für die speziell angefertigten Werkzeuge für die Serienherstellung der Teile oder den Prototypbau tragen die Konzerne im Durchschnitt bestenfalls noch ein Drittel. Und diese müssen bis zur Serienfertigung vorgestreckt werden.
Dabei steckt gerade in dieser handwerklichen Technik der Kern für Qualität.
Andererseits treiben der besonders bei der Elektronik betriebene technische Overkill sowie der Wildwuchs an Varianten die Kosten unnötig hoch und gefährdet die durchgehende Prozessqualität..

Und irre Zustände herrschen bei der Entwicklung.
Auf diesem Feld der Innovation werden durchschnittlich 63 Prozent der konkreten Entwicklungsarbeit allein den Lieferanten aufgebürdet.
31 Prozent der Projekte werden gemeinsam vom Autobauer und Lieferanten betrieben, allein jedoch führen die Markenhersteller nur noch sechs Prozent der Tüftlerarbeiten durch.
Der Eigenanteil an der Entwicklung sinkt quasi gegen Null!
Aber anders als die spezialisierten Zulieferer kennen die Auftraggeber die innovativen Techniken kaum, vor allem nicht im Bereich der Elektronik, Software und neuer Werkstoffe.
Diese Unkenntnis des technisch Möglichen und Sinnvollen führt regelmässig zu einer Überforderung der Entwicklungsteams der vielgelobten Markenhersteller.
So schieben die Auftraggeber kurz vor Serienanlauf rasch noch unzählige Änderungswünsche nach.

Ebenso knapp fällt oft die Zeit aus, um die Entwicklung mit der Produktion und dem Produkt abstimmen zu können - das A und O jeder Qualität.
Dass diese hausgemachte Hektik geradewegs ins Pannenchaos führt, ist unvermeidbar!
War es früher üblich, dem Entwickler anschließend auch die Produktion zu überlassen, um die Kosten zu amortisieren, wird der Auftrag nun häufig geteilt.
Der Tüftler soll das Teil billig kreieren, dann wird dafür die günstigste Fabrik gesucht.
Logische Folge ist, dass der Entwickler sich kaum noch bemüht, weil er weiß, dass er danach die Fertigung doch sowieso nicht bekommt.
Dabei entscheidet gerade die Entwicklung maßgeblich über Preis und Qualität.

Auch die Standortfrage wird in den Verhandlungen zunehmend gestellt, man möge doch bitte die Produktion in ein Billiglohnland verlagern!
Wer zahlt, schafft an und verteilt die Arbeit nach seinen Gunsten.

Und weil sich die sogenannten Markenproduzenten ihre Eingangskontrollen für bestellte Teile einfach einsparen, sollen die Vorproduzenten perfekt liefern.
Diese Praxis entspricht einer völlig akademisierten Sichtweise. Sie missachtet nämlich, dass noch so viele Stichproben (Audits - nach Standards durchgeführte Prüfungen beim Lieferanten) und DIN/EU-Normen die ständige Kontrolle nicht ersetzen können.
Zumal die Markenhersteller am Ende der Lieferkette dabei sehr gerne ignorieren, dass sie selbst die Kostenkiller waren und sind, die menschliches Versagen schlicht aus den Köpfen getilgt haben.

Dazu kommt gerade auch insbesondere bei deutschen Herstellern eine gehörige Portion Arroganz, mit der sie den Qualitätsverfall seit Jahren tabuisieren....

Wer an der grassierenden Schlamperei im Automobilbau Verantwortung trägt, sollte sich nun unschwer ableiten lassen...
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